Archäologie im Moor 

 Moore in Niedersachsen 

Jahrtausende lang waren Moore ein prägender Naturraum Nordwesteuropas. Sie entstanden mit der allmählichen Wiedererwärmung am Ende der letzten Eiszeit und dehnten sich immer mehr aus bis sie im nördlichen Mittel- und in Nordeuropa das Landschaftsbild dominierten. In Niedersachsen war hiervon vor allem der Norden betroffen. Vor Beginn der planmäßigen Entwässerung und Kultivierung der Hochmoore im 17. Jahrhundert war hier mit rund 6300 km2 rund ein Drittel des Landes von Mooren bedeckt [19]. Heute ist der Anteil der Moore an der Gesamtfläche des Landes als Folge von systematischen Abbau und Trockenlegung erheblich geschrumpft.

Moorverbreitung (1790 und 2008=.jpg
Die Ausdehnung der Moore in Niedersachen um 1790 und um 2000.

 Bedeutung der Moore für die Archäologie

Die zunehmende Ausdehnung der Moore war spätestens für die in der Jungsteinzeit (4000 – 2000 v. Chr.) lebenden Menschen deutlich spürbar. Ihr Lebensraum wurde unter Umständen von mehreren Seiten eingeengt, ihre Sieglungsgebiete und Grabstätten vom Moor überwachsen. Erst mit der neuzeitlichen Entwässerung und Kultivierung der Moore ließ sich dieser Prozess umkehren. Die von Mooren überwachsenen Gebiete schieden in aller Regel als Wirtschaftsfläche aus. Allenfalls als Jagd- und Sammelgebiet spielten vor allem Niedermoore, die sich rund um Seen und entlang von Fließgewässern gebildet hatten, mit Ihrem reichen Angebot an Fischen, Wildtieren und Sammelpflanzen eine gewisse Rolle [4]

Für die Archäologie sind Moore dennoch eine äußerst wichtige Quelle. Hier fanden ganz verschiedene Aktivitäten abseits des täglichen Lebens statt. Vor allem finden sich hier Objekte und Materialien, die unter normalen Umständen keine Chance auf Erhaltung haben. Denn Moore zeichnen sich wegen ihres wassergesättigten und oftmals sauren Milieus durch eine meist hervorragende Erhaltung organischer Substanzen aus. Ihr Fundspektrum ist vielfältig. Es umfasst Wege, in einigen Fällen samt zugehöriger Rad- und Wagenbruchstücke, einige nahe an Seeufern oder Fließgewässern angelegte Siedlungs- und Lagerplätze, Einbäume, verloren gegangene oder im Moor deponierte Gegenstände, hölzerne Kultfiguren und mit den Moorleichen sogar menschliche Überreste. Das Alter einiger Funde reicht 10.000 Jahre zurück.

Archäologische Untersuchungen in Mooren 

Die Entdeckung archäologischer Funde in Mooren ist eng mit ihrer wirtschaftlichen Nutzung verknüpft. Seit dem 18. Jahrhundert wird Torf als Brennstoff in größerem Umfang abgebaut, heute dient der er vor allem als Substrat für die Gemüse- und Blumenindustrie.

Solange Torf in Handarbeit gestochen wurde, kamen immer wieder Relikte vergangener Epochen ans Licht. In einer Zeit, als sich die Archäologie noch nicht als Wissenschaft etabliert hatte, waren es Landvermesser wie C. H. Nieberding, der Vorstand der Großherzoglichen Sammlungen in Oldenburg, F. K. von Alten, der Gymnasiallehrer, Prof. F. Knoke oder der Kreisbauinspektor H. Prejawa, die die Bedeutung der Funde erkannten und durch Zeichnungen, Fotos und Kartierungen elementare Grundlagen schufen [5]. Mit dem zunehmenden Einsatz großer Maschinen im 20. Jahrhundert und der damit einhergehenden großflächigen Moorzerstörung reißt die Fundserie aus Mooren ab. Die systematischen Untersuchungen Hayo Hayens im Weser-Ems-Gebiet führten schließlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu enormen Erkenntniszuwachs [11-12]. Als Mitarbeiter des Museums für Naturkunde und Vorgeschichte (heute Landesmuseum für Natur und Mensch) in Oldenburg hat er dem Museum zu einer bedeutenden moorarchäologischen Sammlung verholfen.

Mit der Einführung des Schwerpunktprogrammes Moorarchäologie beim damaligen Institut für Denkmalpflege (heute Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege) am Ende der 1980er Jahre gewannen siedlungsarchäologische und paläoökologische Fragen an Bedeutung [4].

Schutz archäologischer Funde 

Moore und Feuchtgebiete bewahren reichhaltige und ausgesprochen wertvolle Zeugnisse unserer Vergangenheit. Die zentrale Voraussetzung für ihre Erhaltung ist, dass die entsprechenden Fundregionen dauerhaft nass bleiben. In einer großflächig vom Menschen geprägten, landwirtschaftlich genutzten und entwässerten Fläche stehen die Chancen hierfür schlecht. 

Leider gibt es bis heute keine Möglichkeit, archäologische Objekte in Mooren systematisch aufzuspüren. Fast alle Funde stammen aus einer Zeit, als der Torf noch in Handarbeit als Brennmaterial abgebaut wurde. In den letzten Jahrzehnten erfolgte der Torfabbau unter Einsatz verschiedener Maschinen als Rohstoff für den Anbau von Gemüse und Zierpflanzen. Seither werden nur in Ausnahmefällen archäologische Funde im Moor entdeckt, die allermeisten Objekte werden unbemerkt zerstört. Nach wie vor ist die Archäologie hier auf glückliche Zufälle sowie auf aufmerksame Nutzer des Moores angewiesen, die bei Arbeiten im Moor wie Torfabbau oder dem Fräsen von Entwässerungsgräben erfasste archäologische Funde bemerken. Wenn dies nicht der Fall ist, dürfte so manche Moorleiche zerschreddert im Gemüsebeet oder Blumentopf landen. Nur eine intensive Beobachtung und archäologische Begleitung der Arbeiten im Moor kann hier Abhilfe schaffen. 

Dass heute am Ende des Torfabbaus eine kleine Resttorfschicht oftmals wiedervernässt wird und während der nächsten Jahrhunderte wieder aufwachsen soll, um in sehr ferner Zukunft wieder ein richtiges Moor zu bilden, ist aus naturschutzfachlicher Sicht zwar zu begrüßen, ändert aber nichts daran, dass in diesem Stadium der Großteil der ehemals im Moor befindlichen archäologischen Substanz vernichtet ist. 

Das Bemühen, Moore zu erhalten bildet dennoch auch eine Chance für potentiell darin enthaltene archäologische Funde. Hier müssen die verschiedenen Akteure und Interessengruppen von Umwelt- und Naturschutz und Denkmalpflege miteinander in Dialog treten und ihre gegenseitigen Interessen austauschen und berücksichtigen.

Literatur

[1] Bauerochse, A., Haßmann, H., Püschel, K., Schultz, M. (2018): „Moora“ – Das Mädchen aus dem Uchter Moor. Eine Moorleiche der Eisenzeit aus Niedersachsen II. Naturwissenschaftliche Ergebnisse Naturwissenschaftliche Ergebnisse. Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Vol. 47). Rahden/Westf.

[2] Bauerochse, A., Leuschner, H. H., & Metzler, A. (2012): Das Campemoor im Neolithikum. Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland, 61, 135–154.

[3] Bauerochse, A., & Metzler, A. (2005): Das „Mädchen aus dem Uchter Moor" - erste Moorleiche Niedersachsens seit fünfzig Jahren gefunden Denkmalpflege in Niedersachsen (Vol. 3, pp. 66-69).

[4] Bauerochse, A., & Metzler, A. (2015): Moore als Archive der Natur- und Kulturgeschichte – das Arbeitsgebiet der Moorarchäologie. TELMA, 5, 93-112.

[5] Both, F., & Fansa, M. (2011): Geschichte der Moorwegforschung zwischen Weser und Ems. In M. Fansa & F. Both (Hrsg.), „O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehen“. 220 Jahre Moorarchäologie (Vol. 79, pp. 43–188). Darmstadt.

[6] Both, F., Fansa, M., Jopp, E., Schultz, M., & Püschel, K. (2010): Der Junge von Kayhausen und die Haut aus dem Bareler Moor. Neue Untersuchungsergebnisse. Sonderausgabe aus dem Museumsjournal Natur und Mensch Naturkunde, Kulturkunde, Museumskunde (Vol. 6). Oldenburg.

[7] Burmeister, S. (2013): Moorleichen – Sonderbestattungen, Strafjustiz, Opfer? Annäherungen an eine kulturgeschichtliche Deutung. Paper presented at the ‚Irreguläre‘ Bestattungen in der Urgeschichte: Norm, Ritual, Strafe…?. RGK, Kolloquien zur Vor- und Frühgesch., Bonn.

[8] Eisenbeiß, S. (1994): Berichte über Moorleichen aus Niedersachsen im Nachlass von Alfred Dieck. Die Kunde N.F. (pp. 91–120).

[9] Gräf, J. (2015): Lederfunde der Vorrömischen Eisenzeit und Römischen Kaiserzeit aus Nordwestdeutschland Studien zur Landschafts- und Siedlungsgeschichte im südlichen Nordseegebiet (Vol. 7). Rahden/Westf.

[10] Hayen, H. (1977): Der Bohlenweg VI (Pr) im Grossen Moor am Dümmer. Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Vol. 15). Hildesheim.

[11] Hayen, H. (1989): Bau und Funktion der hölzernen Moorwege: Einige Fakten und Folgerungen. Göttingen).

[12] Hayen, H. (1990): Moorarchäologie. In K. Göttlich (Hrsg.), Moor- und Torfkunde (pp. 156-174). Stuttgart (Schweizerbart.

[13] Hesse, S. (2008): Räder, Wagen und Wege im Moor. Funde aus dem Teufelsmoor zwischen Gnarrenburg und Karlshöfen. Archäologie in Niedersachsen, 11, 37–39.

[14] Heumüller, M. (2019): Archäologielandschaft Moor. Aktivitätsraum abseits des täglichen Lebens. Archäologie in Niedersachsen 22, 21-26.

[15] Heumüller, M., Abbentheren, E., & Melisch, C. (2021): Aschen. FStNr. 30 - Bohlenweg Pr 6. Fundchronik Niedersachsen 2019, 24.

[16] Heumüller, M., Hesse, S., Neumann, I., & Abbentheren, E. (2020): Karlshöfen Fundstelle 18, Gde. Gnarrenburg, Ldkr. Rotenburg (Wümme). Fundchronik Niedersachsen, 23, 255–258.

[17] Kossian, R. (2007): Hunte 1. Ein mittel- bis spätneolithischer und frühbronzezeitlicher Siedlungsplatz am Dümmer, Ldkr. Diepholz (Niedersachsen) Veröffentlichungen der archäologischen Sammlungen des Landesmuseums Hannover (Vol. 52).

[18] Müller, J. (2012). Research on Neolithic and Early Bronze Age wetland sites on north European plain. Paper presented at the Proceedings from the Munro International Seminar: The Lake Dwellings of Europe, Edinburgh

[19] Overbeck, F. T. (1975): Botanisch-geologische Moorkunde. Neumünster (Wachholtz Verlag).

[20] Püschel, K., Jopp-van Well, E., Jahn, W., Haßmann, H., Schultz, M., & Bauerochse, A. (2019): „Bernie“ – Die Moorleiche von Bernuthsfeld. Ergebnisse der interdisziplinären Erforschung und Rekonstruktion eines frühmittelalterlichen Fundkomplexes aus Ostfriesland Materialhefte zur Ur- u. Frühgeschichte Niedersachsens (Vol. 57). Rahden/Westf.

[21] van der Sanden, W. (1996): Mumien aus dem Moor. Die vor- und frühgeschichtlichen Moorleichen aus Nordwesteuropa. Amsterdam).

NLD: Dr. Marion Heumüller (2021)