Wege und Straßen über das Moor

Die zahlenmäßig größte Fundgruppe machen aus Holz gebaute Wege aus. Sie bildeten die einzige Möglichkeit, um die Moore mit einer gewissen Sicherheit regelmäßig zu betreten und die Kommunikation zwischen verschiedenen Siedlungsarealen aufrecht zu erhalten. Zwar konnte man Moore durchqueren, indem man sie bei starkem Frost betrat oder sich von Bult zu Bult vorsichtig vorantastete, doch ist dies mühselig und gefährlich. Indem man aber das Gewicht der Fußgänger und später auch das Gewicht von Fahrzeugen und Zugtieren mit Hilfe unterschiedlicher Konstruktionen auf eine größere Fläche verteilte, konnte der weiche, nicht tragfähige Untergrund begehbar gemacht werden. Die Wege führten meist über Hochmoore, zum Teil aber auch über Gewässerniederungen oder wurden bei Stadtgrabungen in anmoorigen Gelände entdeckt. Über 500 solcher hölzernen Wege sind in Niedersachsen bekannt, darunter auch der weltweit älteste Moorweg, der sogenannte Pr 31, der um 4600 v. Chr. Teile des Campemoores (243E.) überquerte. Er fällt in die Zeit des Überganges von herumziehenden Jägern und Sammlern hin zur sesshaften, bäuerlichen Lebens- und Wirtschaftsweise und war bereits erstaunlich massiv aus mehreren Lagen Kiefern- und Birkenstämmen aufgebaut [2].

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Moorwege und andere historische Holzwege in Niedersachsen vor dem Hintergrund der maximalen Moorverbreitung in Niedersachsen um 1790.

Einfache Wegebauten bestanden aus Reisiglagen oder Flechtmatten oder schmalen Stegen aus nebeneinander gelegten Ästen, Stämmen oder Planken. Aufwendigere Konstruktionen bestanden aus mehrschichtig verlegten Holzlagen aus Stammsegmenten oder halbierten Stämmen bis hin zu aufwendig gefertigten Konstruktionen aus Spaltbohlen, die man besonders in der späten Bronzezeit und frühen Eisenzeit auf Pfählen gegründete. Solche Kunststraßen konnten bis zu 6 km Moor überbrücken. Rad- und Wagenbruchstücke weisen darauf hin, dass die hölzernen Straßen spätestens ab ca. 2500 v. Chr. mit Karren befahren wurden. Die jüngsten Beispiele solcher Holzwege stammen aus der frühen Neuzeit [11].

Die meisten Wege hatten das Ziel, die ausgedehnten Moorflächen zu überwinden und voneinander getrennte Siedlungskammern zu verbinden oder neue Räume und Habitate zu erschließen – etwa inselartig in Mooren gelegene Geestrücken oder seit der Bronzezeit auch die fruchtbaren Marschen der Küstenregion, gelegentlich wohl auch Seen innerhalb von Niedermooren. Um Arbeitszeit und Baumaterial zu sparen, suchten die Menschen für die Trassenführung in der Regel möglichst schmale Stellen innerhalb der Moore aus. 

In der heutigen Landschaft haben selbst viele Kilometer lange Moorwege keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Sie wurden in die langsam empor wachsenden Torfmoose eingebettet und wohl innerhalb von Jahrzehnten mit Moor bedeckt. Heute sind sie im Idealfall von mehreren Metern hohen Torfschichten überlagert, weitaus häufiger liegen sie jedoch unmittelbar oder nahe der Oberfläche, da als Folge von Entwässerung und Sackung in jedem Jahr bis zu mehrere Zentimeter Torf oxidieren. Ihre Erhaltung stellt die Denkmalpflege vor ein kaum lösbares Problem.

Der Bohlenweg Pr VI und die Moorwege zwischen Diepholz und Lohne

Aktuelle Untersuchungen an Moorwegen in Niedersachsen, wie die seit 2017 wiederaufgenommenen Rettungsgrabungen am späteisenzeitlichen Bohlenweg Pr VI, zeigen neue Aspekte des Wegebaus auf. Der Pr VI führte vor über 2000 Jahren über eine vermoorte Geestniederung zwischen den heutigen Orten Lohne und Diepholz. Diese ist Teil eines ausgedehnten Moorkomplexes, der sich bis zum dem Dümmer See im Süden, dem Campemoor (243E.) im Südwesten und dem Goldenstedter Moor (243A.) im Nordosten erstreckte. Zur Zeit seiner größten Ausdehnung erreichte er in Nord-Süd-Richtung eine Länge von bis zu 50 km, während er in Ost-West-Richtung stellenweise eine Breite von nur 2 bis 3 km aufweist. Durch diese enorme Ausdehnung bildete das Moor eine ausgeprägte Barriere, die die zu beiden Seiten des Moores gelegenen Landstriche voneinander trennte.

Eine Reihe von Moorwegen konzentriert sich vor allem im mittleren Bereich zwischen Diepholz und Lohne, der seit Beginn den 19. Jahrhunderts im Fokus der Moorwegforschung steht [5, 10]. Um Arbeitszeit und Baumaterial zu sparen, suchten die Menschen möglichst schmale Stellen innerhalb der Moore für die Trassenführung aus. Bis heute wurden 20 Wege aus der Zeit zwischen ca. 2650 v. Chr. und dem 3. Jahrhundert n. Chr. bekannt. Ein kleinerer Teil davon ist durch 14C-Messungen oder dendrochronologische Analysen genauer datiert. Sie belegen einen Schwerpunkt des Wegebaus in der Vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit, also den Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt. Warum manche Wege wie der steinzeitliche Pr VII oder der um 46 v. Chr. verlegte Bohlenweg Weg Pr VI einen anderen Verlauf über längere Trassen nahmen ist unbekannt.

Abb. 3: Die Bohlenwege im Großen Moor zwischen Diepholz und Lohne queren das Moor größtenteils an seiner engsten Stelle.
©LBEG/Adabweb

Die Bohlenwege im Großen Moor zwischen Diepholz und Lohne queren das Moor größtenteils an seiner engsten Stelle. 

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Der Bohlenweg Pr VI war ursprünglich mit mehr als 4 km Länge einer der weltweit längsten Moorwege. Drei Viertel dieser Strecke wurden jedoch bereits in der Vergangenheit als Folge von Torfabbau und Kultivierung zerstört und auch jetzt muss eine 520 m lange Teilstrecke dem laufenden Torfabbau weichen. Immerhin wird dieser Abschnitt mit den neuesten technischen Methoden ausgegraben und dokumentiert. Hierfür konnten im Rahmen des EFRE-Projektes »Naturerlebnis am prähistorischen Bohlenweg im Aschener/Heeder Moor« finanzielle Mittel gewonnen werden. Die bis 2021 andauernden Ausgrabungen erfolgen durch die Grabungsfirma denkmal3D in Zusammenarbeit mit dem Referat Moorarchäologie des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege. Im Zuge der Untersuchungen wird der gesamte Befund mit Structure from Motion, einem speziellen, fotogrammetrischen Verfahren zur Erstellung von 3D-Modellen und Laserscannern dreidimensional dokumentiert, mit dem Ziel den Weg anschließend mit qualitätvollen 3D-Ansichten zumindest virtuell wiederauferstehen zu lassen.

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Die 2019 untersuchte Fläche des Bohlenweges Pr 6 liegt im Torfabbaugebiet, ca. 800 vom „festen“ Boden der Geesthalbinsel Lindloge entfernt.
Abb. 5: 3D-Aufnahmen des Bohlenweges ermöglichen detailgenaue Ansichten aus verschiedenen Perspektiven.
© denkmal3D

3D-Aufnahmen des Bohlenweges ermöglichen detailgenaue Ansichten aus verschiedenen Perspektiven. 

Abb. 6: Das Ende eines sorgfältig geglätteten Holzstabes ist mit 17 regelmäßig geschnitzten, doppelkonischen Unterteilungen versehen.
© NLD/Heumüller

Das Ende eines sorgfältig geglätteten Holzstabes ist mit 17 regelmäßig geschnitzten, doppelkonischen Unterteilungen versehen. 

Die Ausgrabung der bisher untersuchten, ca. 300 m langen Teilstrecke hat Einblicke in bislang wenig bekannte Konstruktionsweisen erbracht. Die an anderen Stellen für den Pr 6 typischen, breit zugerichteten Spaltbohlen, die an beiden Enden ausgestemmte, vierkantig geformte Löcher aufweisen und hierdurch mit Pflöcken auf der Mooroberfläche gesichert wurden, kamen nur selten zum Einsatz. Stattdessen verwendeten die Erbauer häufig nur einfach gespaltene Halblinge, Viertelspaltlinge oder Rundhölzer ohne weitere Zurichtungen oder nur an einer Längsseite eingekerbte Bohlen. Stellenweise kam auch Flechtwerk zum Einsatz. Schon optisch boten einige Teilstrecken das Bild eines aus unterschiedlichen Konstruktionshölzern zusammengestückelten Weges [15]. Zusammen mit neuen, von H. H. Leuschner/Universität Göttingen durchgeführten, dendrochronologischen Untersuchungen verdeutlichen sie die logistischen Schwierigkeiten, mit denen die Erbauer der kilometerlangen Straßentrasse zu kämpfen hatten. Für den um 46 v. Chr. gebauten Weg wurden offenbar auch mehrere Jahrzehnte ältere Bauhölzer verwendet, die vermutlich von einem anderen Bohlenweg stammten.

Der Weg an sich ist ein einzigartiges Objekt. Hinzu kommen einzelne besondere Artefakte im Umfeld. Einmalige und nur vom Bohlenweg Pr 6 bekannte Holzobjekte sind z.B. 70 bis 90 cm lange hölzerne Stäbe, deren vordere Enden mit regelmäßigen Unterteilungen versehen sind. Möglicherweise dienten sie als Messgeräte, etwa um nach Wagenpannen schnell Ersatz für zu Bruch gegangene Konstruktionshölzer zu schaffen.

Die Moorenge zwischen Gnarrenburg und Karlshöfen 

Seit 2017 wird die für ihre Wege und Radfunde bekannte Moorenge zwischen Gnarrenburg und Karlshöfen in einem Kooperationsprojekt der Kreisarchäologie Rotenburg (Wümme) und der Moorarchäologe des NLD neu untersucht. Vor allem im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hatten die Heimatforscher Hans Müller-Brauel und August Bachmann hier bedeutende Funde gemacht [13].

Anfangs war die Hoffnung, in dem zu großen Teilen abgetorften Areal noch Reste der bekannten Wege anzutreffen, gedämpft. Mittlerweile übertrifft die Fundstelle jedoch alle Erwartungen. Mindestens vier Wegebauten aus der Zeit zwischen 2500 v. Chr. und 100 n. Chr. wurden neu entdeckt: ein mit über 4 m Breite ungewöhnlich massiver Pfahlweg der Jungsteinzeit, der um 2500 v. Chr. über das Moor führte [16], eine eisenzeitliche, brückenartige Konstruktion, ein 2000 Jahre alter Sanddamm mit einer mehrschichtigen hölzernen Unterkonstruktion und ein weiterer, noch nicht näher datierter brückenartiger Überweg. Besonders spektakulär ist der eisenzeitliche, auf drei massiven Pfeilerreihen gegründete, brückenartige Überweg, der in dieser Form bislang einzigartig ist und nach den von H. H. Leuschner ermittelten Dendrodaten aus der Vorrömische Eisenzeit um 400 v. Chr. stammt. Äußerst ungewöhnlich ist auch die relativ große Zahl an Beifunden. Neben zwei hölzernen Schlegeln wurden u.a. das Fragment eines Rinderjoches, ein Wanderstab und fünf Radbruchstücke geborgen. Es handelt sich größtenteils um Scheibenräder mit halbmondförmiger Aussparung, wie sie für die späte Bronzezeit und die Vorrömische Eisenzeit typisch sind und ein verhältnismäßig filigranes Speichenrad. Da alle Fundstücke in einem Holzwirrwarr aus kreuz und quer liegenden Bauhölzern, Stämmen und Ästen aus der Zeit um 400 v. Chr. und 100 n. Chr. eingebettet sind, ist momentan die genaue Datierung einzelner Artefakte noch unsicher.

<i>Knapp unter der Grasnarbe wird der Unterbau einer um 400 v. Chr. errichteten, brückenartigen Wegkonstruktion freigelegt. </i>
©NLD/Heumüller

Knapp unter der Grasnarbe wird der Unterbau einer um 400 v. Chr. errichteten, brückenartigen Wegkonstruktion freigelegt. 

Abb. 8: Ein im September 2020 freigelegtes Scheibenrad ist zu 2/3 erhalten.
© NLD/Heumüller

Ein im September 2020 freigelegtes Scheibenrad ist zu 2/3 erhalten. 

Literatur

[1] Bauerochse, A., Haßmann, H., Püschel, K., Schultz, M. (2018): „Moora“ – Das Mädchen aus dem Uchter Moor. Eine Moorleiche der Eisenzeit aus Niedersachsen II. Naturwissenschaftliche Ergebnisse Naturwissenschaftliche Ergebnisse. Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Vol. 47). Rahden/Westf.

[2] Bauerochse, A., Leuschner, H. H., & Metzler, A. (2012): Das Campemoor im Neolithikum. Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland, 61, 135–154.

[3] Bauerochse, A., & Metzler, A. (2005): Das „Mädchen aus dem Uchter Moor" - erste Moorleiche Niedersachsens seit fünfzig Jahren gefunden Denkmalpflege in Niedersachsen (Vol. 3, pp. 66-69).

[4] Bauerochse, A., & Metzler, A. (2015): Moore als Archive der Natur- und Kulturgeschichte – das Arbeitsgebiet der Moorarchäologie. TELMA, 5, 93-112.

[5] Both, F., & Fansa, M. (2011): Geschichte der Moorwegforschung zwischen Weser und Ems. In M. Fansa & F. Both (Hrsg.), „O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehen“. 220 Jahre Moorarchäologie (Vol. 79, pp. 43–188). Darmstadt.

[6] Both, F., Fansa, M., Jopp, E., Schultz, M., & Püschel, K. (2010): Der Junge von Kayhausen und die Haut aus dem Bareler Moor. Neue Untersuchungsergebnisse. Sonderausgabe aus dem Museumsjournal Natur und Mensch Naturkunde, Kulturkunde, Museumskunde (Vol. 6). Oldenburg.

[7] Burmeister, S. (2013): Moorleichen – Sonderbestattungen, Strafjustiz, Opfer? Annäherungen an eine kulturgeschichtliche Deutung. Paper presented at the ‚Irreguläre‘ Bestattungen in der Urgeschichte: Norm, Ritual, Strafe…?. RGK, Kolloquien zur Vor- und Frühgesch., Bonn.

[8] Eisenbeiß, S. (1994): Berichte über Moorleichen aus Niedersachsen im Nachlass von Alfred Dieck. Die Kunde N.F. (pp. 91–120).

[9] Gräf, J. (2015): Lederfunde der Vorrömischen Eisenzeit und Römischen Kaiserzeit aus Nordwestdeutschland Studien zur Landschafts- und Siedlungsgeschichte im südlichen Nordseegebiet (Vol. 7). Rahden/Westf.

[10] Hayen, H. (1977): Der Bohlenweg VI (Pr) im Grossen Moor am Dümmer. Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Vol. 15). Hildesheim.

[11] Hayen, H. (1989): Bau und Funktion der hölzernen Moorwege: Einige Fakten und Folgerungen. Göttingen).

[12] Hayen, H. (1990): Moorarchäologie. In K. Göttlich (Hrsg.), Moor- und Torfkunde (pp. 156-174). Stuttgart (Schweizerbart.

[13] Hesse, S. (2008): Räder, Wagen und Wege im Moor. Funde aus dem Teufelsmoor zwischen Gnarrenburg und Karlshöfen. Archäologie in Niedersachsen, 11, 37–39.

[14] Heumüller, M. (2019): Archäologielandschaft Moor. Aktivitätsraum abseits des täglichen Lebens. Archäologie in Niedersachsen 22, 21-26.

[15] Heumüller, M., Abbentheren, E., & Melisch, C. (2021): Aschen. FStNr. 30 - Bohlenweg Pr 6. Fundchronik Niedersachsen 2019, 24.

[16] Heumüller, M., Hesse, S., Neumann, I., & Abbentheren, E. (2020): Karlshöfen Fundstelle 18, Gde. Gnarrenburg, Ldkr. Rotenburg (Wümme). Fundchronik Niedersachsen, 23, 255–258.

[17] Kossian, R. (2007): Hunte 1. Ein mittel- bis spätneolithischer und frühbronzezeitlicher Siedlungsplatz am Dümmer, Ldkr. Diepholz (Niedersachsen) Veröffentlichungen der archäologischen Sammlungen des Landesmuseums Hannover (Vol. 52).

[18] Müller, J. (2012). Research on Neolithic and Early Bronze Age wetland sites on north European plain. Paper presented at the Proceedings from the Munro International Seminar: The Lake Dwellings of Europe, Edinburgh

[19] Overbeck, F. T. (1975): Botanisch-geologische Moorkunde. Neumünster (Wachholtz Verlag).

[20] Püschel, K., Jopp-van Well, E., Jahn, W., Haßmann, H., Schultz, M., & Bauerochse, A. (2019): „Bernie“ – Die Moorleiche von Bernuthsfeld. Ergebnisse der interdisziplinären Erforschung und Rekonstruktion eines frühmittelalterlichen Fundkomplexes aus Ostfriesland Materialhefte zur Ur- u. Frühgeschichte Niedersachsens (Vol. 57). Rahden/Westf.

[21] van der Sanden, W. (1996): Mumien aus dem Moor. Die vor- und frühgeschichtlichen Moorleichen aus Nordwesteuropa. Amsterdam).