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© Schmatzler
Nutzung der Moore

Bereits im Jahr 47 n. Chr. schrieb der römische Schriftsteller Plinius der Ältere: „Sie trocknen den Schlamm - welchen sie mit ihren Händen gesammelt hatten – mehr im Wind als an der Sonne. Diesen verbrennen sie am Boden zum Erwärmen ihrer Nahrung und ihrer von der Kälte des Nordens starren Leiber[5]. Die Menschen verstanden nach und nach, dass in Mooren wichtige Rohstoffe abzubauen sind und wagten sich immer weiter in die Moore hinein. Allen voran wurde Torf als Brennstoff abgebaut, aber auch Eisen aus Raseneisenstein, Kalk aus Wiesenkalk oder Salz aus Salztorf wurden zu bedeutsamen Rohstoffe. Die Raseneisensteinvorkommen aus den Verlandungsmooren im mitteleuropäischen Tiefland könnten ein wesentlicher Faktor für dessen Besiedelung gewesen sein, da sie über das Mittelalter hinweg die größte Eisenerzquelle in der Region waren [20].

 

Die großflächige Umwandlung der Moorflächen in Grün- und Ackerland ab dem 17. Jhd. veränderte die Beziehung zwischen Mensch und Moor deutlich. Durch die Entwässerung verloren die Moore zusehends ihre Eigenschaften als große Feuchtgebiete und damit auch ihr unheimliches und ureigenes Innerstes. Im Jahr 1731 brachte Johann Hartmann Degner das Buch „Teuschlands neu-entdeckte Goldgrube“ heraus [6]. Der Titel beschreibt eindrucksvoll die sich verändernde Beziehung zwischen Mensch und Moor in dieser Zeit. Der Torfabbau und die anschließende Landgewinnung waren aber Schwerstarbeit, die den ärmsten Bauern und Bäuerinnen oder Landlosen vorbehalten war: „De eersten sein Dot, de tweeten sein Not, de drütten sein Brot“ [18]. Ein Zeitzeugenbericht über die Moorbäuerin Johanna (1876-1960) im Verwaltungsbezirk der Grafschaft Bentheim gibt eindrucksvolle Einblicke in ein entbehrungsreiches Leben im Moor.  

 

Mit Beginn des 17. Jahrhunderts wurden die Moore großflächiger kultiviert. Bei der Moorbrandkultur wurden diese oberflächlich entwässert und abgebrannt. In der Hochphase der Moorbrandkultur zog der „Moordampf“ mehrere tausende Kilometer weit über das Land [20]. Vor allem die städtische Bevölkerung fühlte sich dadurch belästigt, aber auch die geringe Wirtschaftlichkeit der Moorbrandkultur führte zur Kritik an dem Verfahren. 1873 schrieb Eduard Birnbaum: „Moorbrandkultur ist Raubbau und verwerflich“. Bei der Fehnkultur, die 1631 in Papenburg ihren Anfang nahm, wurden die Moore über schiffbare Kanäle erschlossen. Hier standen vornehmlich die Gewinnung und der Abtransport von Torf im Vordergrund. Erst nach der Abtorfung haben die Siedler und Siedlerinnen die Flächen bewirtschaften können [8]. Mit der Moorbrand- und Fehnkultur und später der deutschen Hochmoorkultur machten die „Moorbauern“ die großen Hochmooren urbar und drangen so immer weiter in diese hinein [18, 20]. Mit einer zunehmenden Besiedlung der Ödländereien wurden auch zwielichtige Gestalten angelockt, insbesondere in den Mooren ohne Kanalanschluss [8]. Die Legende vom Schmuggler-König Der Rode Gerd und sein hin und her mit den Zöllnern und Grenzpatrouillen ist inzwischen weit über das Teufelsmoor hinaus bekannt. „Herr Gott, den kenn' ich ja! Warte roter Halunke, du wirst uns heute nicht entwischen!“, tönt es vom Zollboot herüber. Doch Gerd weiß eine Antwort…“ schreibt Wilko Jäger (2005). Inzwischen wurde der Legende vom „roden Gerd“ auch ein eigener Roman von Firozeeh Milbrandt (2021) sowie ein Popsong von „Versengold“ (2019) gewidmet. 

 

Ein unrühmliches Kapitel erfuhr der Torfabbau während beider Weltkriege. In vielen Strafgefangenen- und Konzentrationslagern wurden politische Häftlinge und Kriegsgefangene im Torfabbau unter widrigsten Bedingungen eingesetzt [18]. Im Konzentrationslager Börgermoor entstand währenddessen das Lied Die Moorsoldaten. Geschrieben von den politischen Gefangenen Johann Esser, Wolfgang Langhoff und komponiert von Rudi Goguel wurde es im Rahmen der Kulturveranstaltung „Zirkus Konzentrazani“ am 27.08.1933 im KZ Börgermoor uraufgeführt und verbreitete sich anschließend als Hymne des NS-Widerstandes im Untergrund Europas. Auch nach dem zweiten Weltkrieg wurde Torf noch unter zweifelhaften Bedingungen abgebaut. In Umerziehungsheimen wurden schwererziehbare Kinder und Jugendliche noch bis in die 1970er Jahre hinein als Torfstecher eingesetzt, wie im 2015 erschienenen fiktiven Filmdrama Freistatt von Marc Brummund anschaulich zu sehen ist. 

 

Letztendlich dauerte es noch bis in die 1980er hinein, bis ein Großteil der niedersächsischen Moore in landwirtschaftliche Nutzfläche umgewandelt wurden und somit weitgehend aus der Landschaft verschwunden sind. Als staatlich gewollte und geförderte, gesamtgesellschaftliche Aufgabe wurden die niedersächsischen Moore als Deutsche Hochmoorkultur mit Grünlandnutzung oder als Sanddeck- oder Sandmischkultur, letztere überwiegend mit Ackernutzung, kultiviert. Mit dem Einsatz großer Maschinen wurden Teilgebiete abgetorft, bedeckt oder tiefgreifend umgegraben [18, 20].  Im Filmbeitrag "Die Moordämmerung" (1952) wird die Aufbruchsstimmung im Zuge der Ödlandkultivierung deutlich. Dabei war der von jeweils zwei Lokomobilenpaaren gezogene Tiefpflug „Mammut“ die imposanteste Maschine, die bei der Moorkultivierung eingesetzt wurde. Mit seiner Hilfe konnten die Moore bis in eine Tiefe von 2,15 m umgraben werden. Fritz Theodor Overbeck (1979) beschrieb die industrielle Kultivierung der Moore in „Das Große Moorlied“ wie folgt: „Und die Moore tat man meuchlings - Trockenlegen wie die Säuglings. - Und der Moloch der Industrie -  Frißt den Torf weg, wie noch nie, -  Traurig sind die Reste! - Also ging man unverfroren, - Um mit unseren schönen Mooren, -  Spricht dazu noch ungeniert: „Diese sind nun kultiviert!“ – Statt sich was zu schämen“. Die Verse beschreiben in der neunten und letzten Strophe das Ende der Moorentwicklung im norddeutschen Tiefland, welches mit dem Einsetzen der Warmzeit vor 12.000 Jahren seinen Anfang genommen hat [17].

Literatur

[1] Bauerochse, A., Haßmann, H., Püschel, K., Schultz, M. (2018): „Moora“ – Das Mädchen aus dem Uchter Moor. Eine Moorleiche der Eisenzeit aus Niedersachsen II. Naturwissenschaftliche Ergebnisse Naturwissenschaftliche Ergebnisse. Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Vol. 47). Rahden/Westf.

[2] Bauerochse, A., Leuschner, H. H., & Metzler, A. (2012): Das Campemoor im Neolithikum. Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland, 61, 135–154.

[3] Bauerochse, A., & Metzler, A. (2015): Moore als Archive der Natur- und Kulturgeschichte – das Arbeitsgebiet der Moorarchäologie. TELMA, 5, 93-112.

[4] Capelle, T. (1995): Antropomorphe Holzidole in Mittel- und Nordeuropa. Stockholm (Almquist & Wiksell International).

[5] de Klerk, P., Hettings, J., Musäus, I., & Joosten, H. (2022): Zitternde Böden und brennender Schlamm: Die Wahrnehmung von Moor und Torf bei den Römern. Telma (unveröffentlicht)

[6] Degner, J. H. (1731): Teutschlands neu-entdeckte Goldgrube. Frankfurt (Fleischer).

[7] Verein Deutscher Naturparke e.V. (2019): Strukturen, Leistungen und Perspektiven der Naturparke in Niedersachsen. Bonn (Verband Deutscher Naturparke e.V.). 

[8] Günther, J. (2012): Die Moorbrandkultur und der Buchweizenanbau als eine frühe Form der landwirtschaftlichen Hochmoornutzung in Nordwestdeutschland. TELMA, 42, 57 - 70.

[9] Haverkamp, M. (2011): Binnenkolonisierung, Moorkultivierung und Torfwirtschaft im Emsland unter besonderer Berücksichtigung des südlichen Bourtanger Moores – Entwicklungslinien und Forschungsstand. TELMA, 41, 257-282.

[10] Hayen, H. (1971): Hölzerne Kultfiguren am Bohlenweg XLII (IP) im Wittenmoor (Gemeinde Berne, Landkreis Wesermarsch). Die Kunde N.F:, 22, 88-123.

[11] NIBIS® Kartenserver (2022). Kohlenstoffreichen Böden 1 : 50 000 (BHK50). - Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG).

[12] Meyers Großes Konversations-Lexikon (1907): Irrlichter (Vol. 10). Leipzig.

[13] BTE Tourismus- und Regionalberatung PartG mbB (2016): Naturtourismus in Deutschland 2016. Berlin.

[14] Minßen, F.-J., Klinck, L., & Krause, A. (2022): Zukunft der Moorstandorte in Niedersachsen. Fakten, Fragen, Handlungsansätze. Ovelgünne (Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen e.V.). 

[15] Umweltkartenserver Niedersachsen (2022). Naturschutzrechtlich geschützte Moore.

[16] Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz (2016): Programm Niedersächsische Moorlandschaften. Hannover (Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz).

[17] Overbeck, F. (1979): Das Große Moorlied. TELMA, 9, 275-286.

[18] Schmatzler, B., & Schmatzler, E. (2010): Moorland. Moorlandschaften in Niedersachsen nach industriellem Torfabbau. Ratingen (Industrieverband Garten e.V.).

[19] Slofstra, B. & Hoeskstra, E. (2022): Sprachlehre des Saterfriesischen 2022. Saterland (Fryske Akademy-Nümer 1137).

[20] Succow, M. & Jeschke, L. (2022): Deutschlands Moore. Ihr Schicksal in unserer Kulturlandschaft. Rangsdorf (Natur+Text GmbH).

[21] Wiegand, C. (2019): Kulturlandschaftsräume und historische Kuturlandschaften landesweiter Bedeutung in Niedersachsen. Naturschutz und Landespflege in Niedersachsen, 49, 338.